Spuren von Städten. Formen des Umgangs mit deurbanisierten Räumen der frühen Kaiserzeit


Bereits antik aufgegebene hellenistische Befestigung von ‚Hatipler Kalesi‘ bei Pergamon
(Foto: Pergamon-Umlandsurvey 2010)

Der frühkaiserzeitliche griechische Geograph Strabon bezeichnet in seiner Weltbeschreibung auf dem Gebiet von Italien, des griechischen Festlands und Kleinasiens, den Kernländern der griechisch-römischen Zivilisation, rund 200 Orte als geschrumpft, verlassen oder ruinös, manche gar als so verfallen, dass nicht einmal mehr ihre frühere Lage mit Sicherheit bestimmt werden könne. Derartige literarische Zuschreibungen wurden in der Klassischen Altertumswissenschaft lange als Indikator für einen Niedergang Griechenlands ab der Zeit des Hellenismus gewertet. An die Stelle dieses simplen Schemas trat zuletzt zwar das Bewusstsein für ein weit komplexeres System, in dem in allen Regionen des antiken Mittelmeerraums ständig Wachstum und Rezession parallel laufen und neben florierenden Metropolen immer auch schrumpfende und Geisterstädte das Landschaftsbild prägen konnten. Selten wurde dabei jedoch die Frage gestellt, wie antike Gesellschaften mit dem Faktum deurbanisierter Räume (definiert als Reduktion auf Ebene des physischen Stadtbildes, der Sozialstruktur und/oder aus Sicht kultureller Deutungsmuster) umgingen.

Dieses Phänomen untersucht das Projekt am Beispiel aufgelassener und geschrumpfter Städte in Mittelitalien (F. Henke) und Westkleinasien (J. Schreyer) während der frühen Kaiserzeit. Durch eine Auswertung aller verfügbarer Informationsquellen zu sich entsprechend entwickelnden Siedlungen – von archäologischen Befunden über Inschriften bis zu literarischen Texten – soll dabei die Frage beantwortet werden, wie mit der Präsenz deurbanisierter Räume umgegangen wurde, mit welchen Handlungsstrategien verschiedene Akteursgruppen auf das Phänomen reagierten und welcher Deutungsnarrative sie sich bedienten. Aus den lokalen Erscheinungen sollen regionale und überregionale Tendenzen und Divergenzen erschlossen werden. Das zu bestimmende Spektrum historisch möglicher Reaktionsweisen soll nicht zuletzt auch die Unterschiede und Spielräume herausstellen, die im Umgang mit den verlassenen Stadtlandschaften offenkundig bestanden.

Verantwortlich

Dr. Julian Schreyer
Felix Henke

Laufzeit

seit 2019

Finanzierung

Gerda Henkel Stiftung, Förderschwerpunkt „Lost Cities. Wahrnehmung von und Leben mit verlassenen Städten in den Kulturen der Welt“ (2019–2021)

Informationen zum Förderschwerpunkt

Gerda Henkel Stiftung, Schwerpunkt Lost Cities